Menschen, Zeit

Der Lärm der Stille

Ein Text von WIRKUNGSKREIS

27. Juni 2024

Ich sitze am Fenster und schaue in den Garten. Die Morgensonne taucht die Welt in ein unwirkliches, fahles Licht. Es wird langsam hell. Eine Amsel springt von Ast zu Ast. In meinen Händen ruht eine Tasse mit frischem Kaffee. In mir toben die Gedanken. Schon während ich die Milch erwärmte und den Kaffee kochte entbrannte ein Gedankengefecht in meinem Kopf. Ich gehe die unendliche Liste der unerledigten Dinge durch. Welche Termine stehen heute an? Ich habe immer noch keine Geschenkidee für Anne. Ich schaue in den Garten. Ich wünschte, dass meine Gedanken endlich einmal Ruhe gäben. Dass sie auch einen Kaffee tränken und in den Garten schauten. Oder, dass sie nebenan im Kinderzimmer leise Lego spielten, ein Buch läsen oder sich versteckten und wieder fänden. Ich säße dann mit einer Tasse Kaffee in meinen Händen am Fenster und schaute in den Garten. In mir wäre alles ruhig.

Ich sitze am See und schaue aufs Wasser. Ich betrachte die Oberfläche. Das Wasser ist glatt und klar. Nur die Bewegung der Schwäne verursacht leichte Wellen. Ich schaue ihnen nach, wie sie dahingleiten, leise und zielgerichtet. Ich beobachte wie ich seufze. Der Blick aufs Wasser lässt mich ruhig werden, aufmerksam für die Stille um mich, das sanfte Rauschen des Waldes, das leise Singen der Vögel. Ich beobachte meine Gedanken, sie ziehen vorüber wie die Wolken am Himmel. Die Luft, die mich umgibt, ist frisch. Mir kommt eine Idee für ein Geburtstagsgeschenk für Anne. Die Schwäne genießen die Sonne. Auch ich genieße die Sonne, sie berührt mein Gesicht. Ich wende mich ihr zu und lasse mich wärmen. Ein Liedvers kommt mir in den Sinn.

Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte.
Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten,
lass mich so
still und froh
deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen.

Ich sitze am Fenster und schaue in den Garten. Das Wochenende tat gut. Innehalten, Anhalten, Aushalten. Der Alltag ist zurück. Der Wunsch nach Stille bleibt.

Dieser Text ist im Rahmen des stillen Wochenendes entstanden, das im April zum zweiten Mal stattfand.

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