„Es lohnt sich, etwas zu wagen“
21. November 2019
Ein junges Ehepaar nutzt die Elternzeit, um mit den 3 Kindern in die USA zu reisen. Sie arbeiten bei den Urban Farming Guys in Kansas City mit, einer NGO, die sich in einem sozialen Brennpunkt für bessere Lebensverhältnisse einsetzt. Was hat sie dazu bewegt? Wie hat es geklappt? Und was bringen sie mit zurück?
Andere machen in der Elternzeit Urlaub, ihr arbeitet. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Seit Jahren verfolgen wir die YouTube Videos der UrbanFarming Guys und sind begeistert von deren Arbeit. Es geht um Urban-Farming, Community-Building und DIY mitten in der Stadt. Weil unser Sohn im Sommer eingeschult wurde und vorher eben diese Elternzeit war, dachten wir: Das ist die letzte Chance für ein Familien-Abenteuer außerhalb der Ferienzeiten. Außerdem waren wir noch nie in den USA, da wollten wir schon immer mal hin. Durch Arbeit lernt man ein Land viel besser kennen, dass sind einfach intensivere Begegnungen.
Wo genau wart ihr, und was habt ihr dort gemacht?
Wir waren in Kansas City, Missouri, einer Stadt im Mittleren Westen. In dem ziemlich heruntergekommenen Stadtteil Lykins haben es ein paar mutige Menschen gewagt, sich dauerhaft niederzulassen und dem Niedergang entgegenzutreten. Sie bauen Gemüse an, renovieren heruntergekommene Häuser, machen Kinder mit Technologie und Kunst vertraut… Wir haben da mitgewohnt und so gut es ging mitgearbeitet.
Wie fanden´s die Kinder?
Super! Hier in Hamburg haben wir zuvor in einer super kleinen Wohnung gewohnt – dort hatten wir ein riesiges aber leeres Haus im Südstaaten-Style mit Veranda und Garten, Leute gingen ein und aus, es gab eine Sprache, die sie nicht verstanden, verrücktes Wetter, anderes Essen und eben auch andere Kinder. Nicht so gut fanden sie die riesigen Wachhunde überall, die haben den Kindern ganz schön Angst eingejagt, uns übrigens auch.
Was bringt ihr mit zurück in euren Alltag? Was hat es euch als Familie gebracht?
So viel. Das gemeinsame Abenteuer werden wir so schnell nicht vergessen. Inspiriert hat uns die konsequente Lokalität: Wir haben dort gewohnt wo wir gearbeitet haben und hatten so einfach viel Zeit als Familie und für Besuche von den Anderen im Projekt. Wir haben regelmäßig zusammen gegessen und im Garten BBQ genossen. Dazu die spannenden Lebensgeschichten der Leute und das Projekt selbst. Wir haben gelernt, dass wir uns als Familie einiges wagen können, einander viel zutrauen können. Wie schon oft haben wir die Großzügigkeit Gottes durch andere Menschen erlebt, denn wir waren oft irgendwo zu Gast. In Zukunft wollen wir gerne wieder mehr Gastgeber werden.
Roman, du bist Sozialökonom in einer Entwicklungsfinanzierungs-Genossenschaft. Was hast du in deiner Auszeit und durch das Projekt gelernt?
Wie schön Arbeit ohne die dauerhafte Begleitung eines Computers ist! Kein Excel, Telefon und E-mail, sondern sehr konkrete Arbeit: Wir haben gepflanzt, geerntet, niedergerissen, aufgebaut, gemalt, geklempnert, designed… Jeder Tag war anders, immer neue Herausforderungen. Sicher sehr chaotisch – ich habe es geliebt. Seit jeher mag ich es, brachliegendes Land mit neuem Leben zu füllen, ich empfinde es eher als Freiraum. Dort gab es diesen Freiraum.
Anja, du hast lange als Physiotherapeutin gearbeitet und bist nun kurz vor deinem Abschluss in Oekotrophologie. Was hat dir die Auszeit gebracht?
Die wichtigste Erkenntnis: Dinge sind möglich, die einem zunächst zu groß erscheinen. Ich bin in meinem Leben bisher nicht sehr weit herumgekommen, dass hat sich jetzt geändert. Die fremde Sprache und Kultur haben mich viel Überwindung gekostet, aber es hat sich gelohnt. Weil ich mich im Studium viel mit Ernährung befasse, war es mir ein leichtes, mich arbeitstechnisch bei den Urban Farming Guys zu integrieren. Ich habe vieles, was dort wuchs, direkt verarbeitet und für alle gekocht. Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie die Leute auf mein Essen reagieren und im Gegenzug von den Anderen zu lernen. Die ganze Essens-Logistik ist dort unterschiedlich, alles wird mit viel Geduld gemacht.
Was war schwierig in der Zeit?
Zunächst war das Umfeld eine Herausforderung: Das Haus, in dem wir gewohnt haben, war bei unser Ankunft ganz schön heruntergekommen. Das haben wir im Eiltempo erstmal desinfiziert und halbwegs kindersicher gemacht. Darüber hinaus war es schwer einzuschätzen, wie gefährlich das Viertel tatsächlich ist. Da hatten wir oft unterschiedliche Empfindungen… Die wechselseitige Beaufsichtigung der Kinder war nicht immer leicht, manche Arbeit war nicht gerade kinderfreundlich. Unsere Kleinste war gerade mal 1 Jahr alt und vor allem auf Anja angewiesen.
Was würdet ihr anderen Familien ans Herz legen?
Mutig zu sein! Mit kleinen Kindern stehen Risiken bei einem Abenteuer schnell im Vordergrund. Aber es lohnt sich, etwas zu wagen. Bei uns ist alles gut gegangen, sicher hat Gott da seine Hände im Spiel gehabt. Darüber hinaus tut es gut, sich als Familie mal einer ganz anderen Umgebung auszusetzen und zu schauen, wie sich ein Leben (mit Arbeit) in so einer Umgebung anfühlt.
Ach ja, und Geld: Wir haben davon eher wenig, aber wir haben einige Erfahrungen, wie man trotzdem eine Menge erleben kann. Die geben wir auch gern weiter.
(Fotos: privat)