Corona-Logbuch

Mein Telefonjoker im Stationsalltag

Ein Text von Redaktion

21. Mai 2020

Hey ihr Lieben, Ich bin Clarissa, 23 Jahre jung und arbeite zur Zeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin (der offizielle Name für Krankenschwester) auf einer intermediate care Station in einem großen Krankenhaus südlich der Elbe. Das ist quasi eine Überwachungsstation, zwischen Intensiv- und Normalstation einzuordnen.

Wir arbeiten mit Monitoring und haben maximal eine 1:4-Betreuung. Zu unserem Patientenklientel gehören postoperative Patienten, die ein besonderes Risiko für Komplikationen haben, Herzinfarkte, Intoxikationen, Patienten mit veränderter Bewusstseinslage, instabile Kreislaufsituationen uvm.

Gerade zur Hochzeit von Corona in Hamburg, im April, hatten wir jede Menge zu tun. Tägliche Änderungen von Vorschriften, Belegung der Betten und in der Personalplanung haben unser Team sehr stark belastet. Viele Kollegen waren verunsichert und kamen mit Bauchschmerzen zur Arbeit, auf Grund der stetigen Veränderungen und der Ungewissheiten.

Anfangs, als das Virus Hamburg noch nicht so stark erreicht hatte, gab es ein paar Verdachtsfälle bei uns, die sich alle -Gott sei Dank- als negativ erwiesen, jedoch widerspiegelten, wie undefinierbar und dadurch beängstigend dieses Virus eigentlich für uns war. Niemand wusste, wie er mit der Situation umzugehen hatte. Es gab tägliche Krisensitzungen aller wichtigen Positionen im Krankenhaus.

Nach einiger Zeit öffnete die erste ´Corona-Station´, was eine kleine Erleichterung für alle Mitarbeiter war, da nun Patienten nicht mehr wild im Krankenhaus verteilt wurden, sondern zentral in einem der Nebengebäude gebettet. Schnell gab es die ersten intensivpflichtigen Patienten, die sich, nach Angaben von Ärzten unseres Beatmungszentrums, sehr schlecht beatmen ließen. Zum Höhepunkt der Epidemie in Hamburg hatten wir im Haus 30 infizierte Patienten, davon 12 intensivpflichtige.

Mittlerweile geht die Zahl der infizierten Patienten zurück und die Corona-Stationen im Haus leeren sich. Es haben sich allerdings viele Dinge nachhaltig geändert. Klinikpersonal auf den Intensivstationen muss den ganzen Dienst über einen Mund-Nase-Schutz tragen, Patienten ebenso, wenn Klinikpersonal im selben Raum ist. Es herrscht ein Besuchsverbot, weshalb eigentlich den ganzen Tag über das Stationstelefon bimmelt. Mitarbeiter dürfen nur noch einzeln, zeitlich versetzt Pause machen oder dabei in unterschiedlichen Räumen sitzen. Jeder Patient, der auf einer Intensivstation liegt oder operiert wird, wird grundsätzlich abgestrichen und isoliert, solange noch kein Abstrichergebnis vorliegt. Dies lässt Patienten oft vereinsamen, auch wenn sie intensiv betreut werden müssen. Viele verstehen entweder das ganze ´Affentheater´ nicht oder sind völlig panisch und fragen nach FFP2 Masken, um sich vor uns zu schützen. Das alles erfordert viel Ausdauer und Geduld.

Ich empfinde es als sehr anspruchsvoll, Patienten in einer Situation, die ich durch meine Arbeit nicht aktiv beeinflussen oder sie vollständig überblicken kann, zu ermutigen und ihnen Hoffnung zu schenken.
Natürlich freue ich mich gerade auch sehr über die mediale Präsenz meines Berufs, auch wenn ich hier, südlich der Elbe, leider niemanden um 21 Uhr klatschen höre. Pfleger*innen erheben ihre Stimmen und Petitionen für faire Bezahlungen und Arbeitsbedingungen finden Gehör und werden tausendfach unterschrieben. Ich hoffe nur, dass dies auch nachhaltig wirkt und nicht gleich wieder in Vergessenheit gerät, sobald der normale Alltag wieder einkehrt.

Die meisten meiner Kollegen haben keinen großartigen, liebenden, geduldigen Gott im Backup, der in Ausnahmesituationen oder auch einfach im Stationsalltag quasi ihr Telefonjoker ist und auf Hilferuf sofort eine Packung Geduld, Hoffnung oder Liebe schicken kann.

Neulich hatten wir einen sehr stressigen Dienst mit einem Arzt, der seine erste Woche bei uns auf Station hatte und gar nicht richtig eingearbeitet war. Er war schlichtweg überfordert und alle meine Kollegen inklusive mir waren irgendwie genervt, weil nichts so lief, wie es eigentlich laufen sollte. Eine Kollegin hatte auf dem Flur eine laute Auseinandersetzung mit besagtem Arzt, was der Gesamtsituation nicht zu Gute kam. Ich hatte zuvor eine Neuaufnahme bekommen, welche sehr anspruchsvoll war und wo er viel Zeit aufwenden musste. Er legte diverse sterile Zugänge und wir führten eine Behandlung durch, die durchaus gefährlich werden kann. Die Luft staute sich im Raum, die Patientin schrie uns die ganze Zeit auf Arabisch an, Stress! Eine wirklich unschöne Situation. Nachdem der Arzt fertig war, ging er ohne die spitzen Kanülen und den Müll ordnungsgemäß zu beseitigen, die er gebraucht hatte. Instinktiv kochte es in mir und ich war wütend, dass er offensichtlich dachte, ich sei für die ´Drecksarbeit´ zuständig. Ich ging aus dem Patientenzimmer und mir kam auf dem Weg ins Arztzimmer ein Gedanke: Wie kann ich als Christ auf dieser Station meinen Glauben leben? Und welche Reaktion würde Gott jetzt gefallen? Dass ich ins Arztzimmer gehe und den neuen, unsicheren Arzt zusammenpfeife? NEIN!

Ich ging also ins Arztzimmer und fragte ihn höflich, ob er bitte den Müll und die Spritzen entsorgen könnte. Er schaute mich mit großen Augen an und war erstaunt, dass ich so ruhig war, entschuldigte sich und sagte das habe er in dem Stress total vergessen. Unverzüglich ging er los und räumte auf. Am Ende der Schicht kam er nochmal auf mich zu und bedankte sich.

Ich hatte mit Gottes Hilfe seine Herrlichkeit, seine Geduld und seinen Sanftmut gelebt und konnte so sein Zeugnis sein. Und plötzlich war der ganze Stress vergessen und ich war überglücklich und dankbar für dieses Erlebnis mit Gott auf meiner Station. So etwas passiert zwar nicht ständig, aber an diesem Tag hat es mich sehr glücklich gemacht.

Und nun bleibt mir nichts anderes, als mich zu verabschieden und zu hoffen, dass wir uns nie auf meiner Arbeit wiedersehen!
Bleibt gesund!

Titelfoto: Unsplash (Jeshoots.com)

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