Corona-Logbuch

Wir sollten nicht so weitermachen wie bisher

Ein Text von Redaktion

18. Mai 2020

Als Stationsarzt auf einer der Intensivstationen in Hamburg erlebe ich den Pandemiealltag hautnah mit. Wir haben die Patienten auf Stationen isoliert, so dass ein Schutz sowohl für die Patienten als auch die Mitarbeiter möglich ist. Ich arbeite auf einer Nicht-Corona-Intensivstation. Dadurch habe ich nicht direkt Kontakt zu den Corona-Patienten, weil die Stationen eng nebeneinander sind, spürt man aber viel von der aktuellen Stimmung. Die Pflegekräfte und Ärzte sind isoliert tätig, dennoch tauscht man sich übergreifend aus.

Insgesamt herrscht eine sehr gute Stimmung, es läuft alles professionell und geordnet ab, und zu keinem Zeitpunkt herrschte sowas wie Angst oder Hysterie. Dennoch ist es eine Situation, die ich so als Arzt noch nicht erlebt habe, die neu herausfordert und die nicht immer leicht ist. Das Patientenaufkommen hat sich insgesamt durch die neue Lage verändert, aber wir konnten doch die Situation so managen, dass es für uns als Personal gut handhabbar war.

Was macht das mit einem, so im Alltag? Man nimmt die neue Situation mit nach Hause. Angehörige dürfen nicht mehr besuchen kommen, man muss sehr kritische Gespräche am Telefon führen, und auch weiterhin gibt es viele andere tödliche Erkrankungen von Patienten, die auf die Intensivstation kommen und eben kein Corona haben. Die anfängliche Sorge um die Erkrankung und teilweise Übersorge ist inzwischen immer mehr in so ein trockenes, rationales Handeln übergegangen. Auch der Krankenhausalltag normalisiert sich immer mehr.

Ich versuche, es nicht nach Hause mitzunehmen, und trotzdem muss man das ja manchmal aussprechen. Ich bin verheiratet und habe eine kleine Tochter, die 1,5 Jahre alt ist. Die Kleine ist im Rahmen der neuen Situation in einer Notbetreuung in der Kita, weil meine Frau als Krankenschwester arbeitet. Das Ganze ist für uns als Familie eine neue Situation. Wir waren, wie ja alle, lange isoliert von unseren Angehörigen, Familien, Eltern, Großeltern. Insbesondere für die Kleine ist das eine Umstellung, die wir teilweise nicht leicht finden aber im Großen und Ganzen getragen erleben und gut hinkriegen.

Und dann ist so die Frage, was trägt uns durch diese Situation. Was trägt mich, was trägt uns als Familie da durch, was hält dem Ganzen stand? Da ist für mich ganz klar mein Glaube. Mein Glaube und die Familie sind das Entscheidende. Familie in Form meiner Kernfamilie – meine Frau und Tochter, Familie aber auch als Gemeinde und Familie in Form der Großfamilie. Mit denen sind wir im Kontakt über soziale Medien und haben uns inzwischen auch ab und zu mal getroffen und einen Spaziergang gemacht.

Es ist so entscheidend, dass wir realisieren bei all der Sorge um die Krankheit … oder ich sag das anders: Mir fällt auf, dass wir, die wir in der westlichen Welt leben, plötzlich immer mehr realisieren, dass unser Leben endlich ist, dass das Sterben dazu gehört. Weil man unmittelbar mit einer Situation konfrontiert ist, wo der Tod greifbar ist. Und plötzlich machen wir uns bewusst, was zählt überhaupt in unserem Leben, was wollte ich immer erreichen. Viele finden dahin zurück zu fragen: Was gibt es mehr im Leben? Und die sich nochmal die Frage stellen: Gibt es einen Gott, und was bedeutet dieser Gott? Ist er für mich greifbar und erfahrbar?

Ich denke, das ist das Entscheidende, dass was wir das aus der Krise mitnehmen und uns diese Fragen stellen und mutig sind und nicht einfach so weitermachen wie bisher. Das habe ich mitgenommen, dass ich in der Stille, im Gebet, in der Begegnung mit Gott auftanke, und wir als Familie das tun. Wir dürfen uns in Geborgenheit und Gewissheit schätzen, dass Gott an unserer Seite ist und stärker ist als die gesamte Situation. Und dass wir keine Angst und keine Sorge haben müssen vor dem Tod, vor Erkrankungen. Weil wir erlöst sind. Soviel zu meinem Alltag.

Protokolliert, die Person ist der Redaktion bekannt
Titelfoto: Unsplash (Olga Kononenko)

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