Sinn

Wer braucht schon emotionale Bindung an den Arbeitgeber?

Ein Text von Kristina

18. September 2019

Jedes Jahr fragt das Meinungsforschungsinstitut Gallup deutsche Arbeitnehmer nach ihrer Motivation. Und jedes Jahr kommt ungefähr dasselbe raus: 85 Prozent der Beschäftigten empfinden eine geringe Bindung an ihren Arbeitgeber und machen nur Dienst nach Vorschrift, sind also eher geht-so-motiviert. Ganze 15 Prozent davon haben sogar schon innerlich gekündigt. Das ist für Chefs schwer zu schlucken. Schließlich wünscht sich doch jeder Chef und jede Chefin Mitarbeiter, die leidenschaftlich für ihre Firma brennen.

Dr. Dieter Lederer, Unternehmensberater, Coach und Veränderungs-Experte, sieht das Ganze etwas anders. In einem bei XING veröffentlichten Artikel stellte er im Juni 2017 den Umfrageergebnissen die Zahlen unserer aktuell boomenden Wirtschaft entgegen. Seine These: Eine geringe emotionale Bindung von Mitarbeitern an ihre Firma ist ein Katalysator, der Bestleistungen erst möglich macht. Deshalb der Boom.

Zum Vergleich zieht Lederer Parallelen zum Sport: „Nehmen Sie Profisportler wie Fußballer oder Basketballer als Beispiel. Die besten von ihnen sind oft gering an ihren Verein gebunden und doch erbringen sie Spitzenleistungen. Das sind unabhängige Charaktere, die wissen, dass sie in jeder Umgebung gut sind, und sie streben danach, schnell voranzukommen, ihr Talent bestmöglich zu nutzen, sich Alternativen offen zu halten. Offensichtlich kein Höchstmaß an Bindung, doch ein Höchstmaß an Identifikation mit dem Job.“

Und zur Liebe: „Sind Beziehungen stabiler, in denen ein höheres Maß an Bindung empfunden wird? Oder solche, in denen die Partner ihre Eigenständigkeit bewahren und sich nicht primär über die Partnerschaft definieren? (…) Um ein hohes Maß an Bindung geht es dabei nicht, wohl aber um ein hohes Maß an Selbst-Akzeptanz und Eigenverantwortung.“

Für Lederer geht es also zunächst einmal darum, ganz bei sich zu sein und sich dann dort zu entfalten, wo man gerade ist. Der Arbeitgeber ist vielmehr Spielplatz als Sinnstifter, so wie Paris Saint-Germain für Neymar.

Für mich steckt darin eine Parallele zum Glauben. Ich glaube an Gott, deshalb gehört meine Liebe zunächst ihm und meine Identität ist in ihm verwurzelt. Ich muss mir weder durch Erfolg im Job noch durch den Applaus anderer Anerkennung holen, denn bei Gott bin ich angenommen und gewollt. Diese Stabilität trägt auch durch Krisen. Und sie erlaubt mir, in dem Job alles zu geben, in dem ich gerade bin – ohne dass ich mich völlig an meine Arbeit binden und von ihr alles Gute (letztlich Erlösung) erwarten muss. Anders als Lederer es darstellt, ist es für mich aber gerade diese Abhängigkeit von einem anderen, die mich ultimativ frei macht, anstatt meine eigene Kraft oder Persönlichkeit.

(Foto: Unsplash / Jace & Afsoon)

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