Zeit

„Wir sind Meister darin, uns vom Wesentlichen abzulenken.“

Ein Text von WIRKUNGSKREIS

13. Dezember 2021

Martina hilft Menschen, durch unterschiedlichste Prozesse zu navigieren. Der WIRKUNGSKREIS wird im Januar einen Stille Vormittag durchführen. Wir haben vorab mit Martina gesprochen, denn sie hat tiefe Einblicke in das, was Menschen heute bewegt und was sie brauchen.

Liebe Martina, im Januar lädt der Wirkungskreis zum Stillen Vormittag ein. Eine Zeit, um in Ruhe und mit etwas Anleitung zurück ins alte Jahr und nach vorne ins neue zu blicken. Welche besondere Chance liegt aus deiner Sicht darin?

Ich habe vor kurzem jemanden getroffen, der beruflich sehr stark eingebunden ist. Um für sich selbst zu sorgen, ist er für ein paar Wochen alleine in die Einsamkeit gefahren. Damit ging es ihm aber letzten Endes ziemlich schlecht, weil viele Gedanken und Gefühle hochkamen und er in der Einsamkeit keine Ablenkung mehr hatte, die das hätte verhindern können. Ihm hätte es gut getan, mit etwas Anleitung und teilweise auch in Gemeinschaft still zu sein.

Ich denke, das spiegelt unsere Zeit sehr gut wider. Wir sind Meister darin, uns von uns selbst und wesentlichen Dingen abzulenken. Wir verlernen dabei, auf das, was uns im Inneren wirklich bewegt, zu hören. Ich glaube, es tut uns gut, innezuhalten und darüber nachzudenken, wie es uns mit dem letzten Jahr ging und was wir uns vom neuen Jahr wünschen. So können wir unsere Zeit viel bewusster gestalten, anstatt die Themen, die da sind, zu unterdrücken.

Was das Reflektieren der eigenen Arbeit angeht: Bemerkst du in deinen Beratungen derzeit einen Unterschied zu den vorherigen Jahren?

Die Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf Themen, die schon da sind. In Krisenzeiten kommen wir schneller in Kontakt mit uns selbst und sind viel mehr darin gefordert, einen gesunden Umgang mit uns zu finden. Wenn ich z. B. vorher bereits viele Ängste hatte, dann habe ich sie in Zeiten von Corona erst recht. Wenn ich ein Gefühl von „Ich genüge nicht“ in mir trage, wird sich dieses Thema vermutlich gerade jetzt in aller Deutlichkeit zeigen. Die Themen, die oben aufliegen, gehen derzeit an existenzielle Fragen und gewinnen eine andere Bedeutung. Corona hat uns allen gezeigt, wie labil unsere scheinbaren Sicherheiten auf sämtlichen Ebenen sind und wie schnell sich die Lebenssituation von jetzt auf gleich verändern kann. Sowohl beruflich als auch privat stehen wir hier vor einer großen Herausforderung.

Hast du auf die Schnelle zwei Fragen, die helfen, das letzte Jahr arbeitsbezogen zu reflektieren bzw. ins neue hineinzutasten?

Oh je, das ist schwer, sich auf nur zwei Fragen zu beschränken. Aber für den Anfang eignen sich diese:

  1. Was war im letzten Jahr schwer und hat dich besonders gefordert? Wie bist du damit umgegangen?
  2. Was wünscht du dir für das neue Jahr? Was würde dir guttun?

Hast du außerdem eine kleine Kreativtechnik, die beim Reinkommen hilft?

Du bekommst fünf DIN-A4-Blätter, Klebeband und einen Stift. Gehe durch den Raum und suche dir fünf ganz unterschiedliche Orte aus, wo du die Blätter gerne platzieren möchtest. Das dürfen auch gerne sehr ungewöhnliche Orte sein , wie z. B. unter einem Tisch. Wenn du für alle Blätter einen guten Ort gefunden hast, gehe zu einem Blatt deiner Wahl. Stelle, setze, lege dich davor und spüre ich in dich hinein: Was kommen dir für Gedanken? Welche Gefühle spürst du? Schreibe ein Wort auf das Blatt, welches dir passend zu deinen Gedanken erscheint und gehe zu einem nächsten Blatt.

Beim Wirkungskreis geht es um Arbeit und Glaube. Inwiefern ist der Glaube eine Ressource, wenn es um das Thema Arbeit geht?

Die Resilienzforschung weiß mittlerweile, dass Glaube ein wichtiger Faktor für die persönliche Gesundheit ist. Hierzu gibt es unterschiedliche Ansätze. Die „Junge Deutsche – Die Studie 2021“ z.B. befragte 1.600 Menschen im Alter von 14 bis 39 Jahren. Die Menschen, die mit „Glaube ist für mich sehr wichtig“ antworteten und nach eigenen Angaben ihren Glauben auch im Alltag leben, sahen sich durch die Coronakrise weniger belastet als andere Menschen.

Ich kann das bestätigen, es trifft auch auf mein Arbeitsleben zu. Ich würde sagen, mein Glaube ist die Basis und von da aus passiert alles andere. Ich denke nicht immer über diese Basis nach und manchmal verliere ich auch die Bodenhaftung, aber mein Glaube ist da. Er ist der Grundrhythmus in den Liedern, die ich im täglichen Arbeitsleben schreibe.

Martina Broek ist selbstständige Supervisorin, Coach, Seminarleiterin und Hochschuldozentin hier in Hamburg. Sie hilft Einzelpersonen und Teams, persönliche Ressourcen zu entdecken und durch unterschiedlichste Prozesse zu navigieren. Zugute kommen ihren Klienten dabei nicht nur ihr umfassendes Wissen in Sachen Transaktionsanalyse und systemische Beratung, sondern auch Ansätze aus dem kreativen Handeln, mit denen sie teils sehr Abstraktes zuerst anfassbar, dann erlebbar und schließlich umsetzbar macht. Mehr unter beratungskunst-hamburg.de

„Wir sind Meister darin, uns vom Wesentlichen abzulenken“, heißt der Beitrag. Unsere Challenge: Werde Meister im Innehalten! Eine Übung dazu findest du auch hier.

Foto: privat

Teile diesen Beitrag:

Verwandte Beiträge